15.12.2010

Letzter Arschtritt für Gottlieb Daimler

Nicht schlecht, die Überschrift, oder? "Deutschland schafft sich ab" hätte zwar auch gepasst, war aber schon vergeben. Und es geht auch nur um das Motorradland D, der große Rest wird schon noch eine Weile weitermerkeln. Die aktuellen politischen Entscheidungen zur Führerscheinrichtlinie (siehe hier) und zur Winterreifenpflicht (siehe hier) lassen jedenfalls nur einen Schluss zu: der Staat leistet nicht nur keinerlei Unterstützung für die Motorradbranche und die -fahrer, sondern er arbeitet aktiv daran, das Moppedfahren unattraktiv zu machen.
Das hat mir eine Pressesprecherin des Bundesverkehrsministeriums am Telefon sogar bestätigt: Nein, der Einschluss der Zweiräder in die Winterreifenpflicht sei durchaus kein Fehler oder Versehen gewesen, sondern volle Absicht. Gerade Einspurfahrzeuge seien doch im Winter rutsch- und sturzgefährdet und bräuchten deshalb Winterreifen usw. usf. Dass es praktisch keine M+S-Reifen für Bikes gibt, hat bei der Entscheidung jedenfalls keine Rolle gespielt.
Auch die Möglichkeit, den Weg zum Motorradfahren zu erleichtern, indem man beispielsweise den 125er-Schein in den Autoführerschein inkludiert, wird der Staat mit großer Sicherheit verwerfen (der Bundesrat entscheidet am 17. November).
Mit den Augen des Staates gesehen ist es durchaus nachvollziehbar, das Zweirad zu marginalisieren. Schließlich ist es ein offizielles Ziel der EU-Kommission, die Zahl der Verkehrstoten in den kommenden zehn Jahren zu halbieren. Unter besonderer Bewachung stehen dabei die Motorradfahrer, weil die einfach nicht aufhören, zu sterben. Würden nun etwa immer mehr Menschen Motorrad fahren, liefe das dem EU-Ziel zuwider. Und kein Politiker will sich vorwerfen lassen, nicht alles getan zu haben, um ein solch hehres Ziel zu erreichen.
Vor diesem Hintergrund fällt es schwer, von irgendwo her Hoffnung für die Branche zu schöpfen. Ausgerechnet in dem Land, in dem Gottlieb Daimler das Zweirad mit Verbrennungsmotor erfunden hat, gehen nun langsam die Scheinwerfer aus. Dieses Jahr wird sich der Markt wohl bei rund 75.000 Maschinen einpegeln - vor zehn Jahren waren es noch fast 200.000. Mal sehen, wann wir wieder so weit sind wie in den 60er Jahren, als es nur rund 5.000 jährliche Verkäufe in Deutschland gab.
Doch genug der Jammerei. Vielleicht ist das alles gar nicht so schlimm - jedenfalls nicht für den Einzelnen. Das Motorradfahren in der Art, wie wir es heute cool finden, ist nämlich genau in der Zeit entstanden, die für die Industrie am schlechtesten war: den 60er Jahren. Damals trennte sich die Spreu vom Weizen, damals fuhr nur noch, wer es wirklich wollte. Der Café-Racer-Hype, der heute die Motorradzeitschriften zukleistert, ist genau damals entstanden. Und das Fahren um seiner selbst willen, das selbstständige Veredeln und Umbauen, die Posen und die Klamotten - alles von damals. Den Heroen vom Ace Café würde es jedenfalls etwas fremd vorkommen, dass wir heute nach dem Staat rufen, um das Motorradfahren zu retten.
Vielleicht wird es ja wieder so wie damals. In zehn, zwanzig Jahren freut man sich vielleicht wieder, einem anderen "Biker" zu begegnen, und grüßt ihn auch - weil es der einzige an diesem Tag war. Oder in der ganzen Woche. Wir werden sehen.