15.10.2012

Kaltblut

Jetzt steht sie in der Garage, die BMW. Jetzt bin ich ein BMW-Fahrer. Keine F 800, keine 650er-Einzylinder, und natürlich auch keine S 1000 RR. Nein, eine richtige BMW mit Bochsermotor. Wie konnte es nur so weit kommen?
Mein ganzes Motorradleben lang habe ich meine Fahrzeuge immer nur optisch und nach Kriterien wie Motorkonzept und Marke beurteilt und gekauft. Fand ich sie geil, wollte ich sie haben. Probefahrten fanden meist im Zustand geistiger Umnachtung statt, weil die Kaufentscheidung ohnehin schon gefallen war. Wenn ich jetzt über meine zahlreichen Anschaffungen der letzten Jahre nachdenke, dann fällt mir auf: Ich habe nach der Probefahrt nie Nein gesagt. Wenn ich irgendwohin gefahren bin, um eine Kiste anzuschauen, dann habe ich sie schlussendlich auch gekauft. Weil ich sie eben geil fand. Oft genug passierte es dann, dass ich sie nach einer Weile nicht mehr geil fand und auf die Suche nach etwas neuem ging.
Vielleicht schaffe ich es mit der BMW, diese ewige, zwanghafte Abfolge zu durchbrechen. Die finde ich nämlich nicht geil, sondern ich weiß von der Probefahrt, dass sie gut zu mir passt. Sie hat ABS, einen dicken luftgekühlten Zweizylinder, ein Fünfganggetriebe, ein nicht zu weiches, zielgenaues Fahrwerk und eine bequeme, aufrechte Sitzposition - alles Dinge, die ich mag und die die Maschine befähigen sollten, den ihr zugedachten Einsatzzweck zu erfüllen. Die BMW soll nämlich mein Alltagsfahrzeug sein: Sie muss auf Knopfdruck starten, zuverlässig funktionieren, schnell und stark genug sein, um mit anderen Leuten (und vor allem mit meiner Frau) mitfahren zu können, und Gepäck transportieren können.
In den letzten Jahren spielte diese Rolle meine Ducati GT 1000. Unzweifelhaft ist sie eine rassige und charaktervolle Schönheit, auf der ich viel Spaß hatte und der ich hier auf dieser kleinen Seite einen Lobgesang nach dem anderen gewidmet habe. Doch nichts ist so alt wie das Geschwätz von gestern. Machen wir uns nichts vor: Die Duc funktioniert in einem kleinen Ausschnitt des Motorradlebens auf berauschende Weise, aber außerhalb dieses Fensters erfordert sie verdammt viel Nachsicht. Drei Jahre lang habe ich diese Nachsicht gerne aufgebracht und fand mich auch mächtig cool dabei, doch nun will ich das nicht mehr.
In Zukunft werde ich auf Motorradtreffen unsichtbar sein; niemand wird mehr anerkennend meine Maschine mustern. Wahrscheinlich werde ich mich auf der nächsten längeren Reise selber als Weichei schelten, weil ich es mir so einfach mache. Aber ich ziehe das jetzt durch. Die BMW steht in der Garage, und die Ducati muss im nächsten Frühjahr weichen.

Vielleicht täusche ich mich im Übrigen. Vielleicht ist auch die BMW nicht das ideale Alltagsmotorrad. Aber zweifellos werde ich, wenn es so kommen sollte, eine stichhaltige Erklärung finden, warum die dann folgende Maschine genau die richtige für mich ist. Ich bin schon selbst gespannt.