20.05.2015

MV-Turismo, nix veloce

Mecklenburg-Vorpommern (MV) drängt sich, von Süddeutschland aus betrachtet, nicht wirklich als Motorrad-Reiseziel auf. Schuld daran, dass ich trotzdem dorthin gefahren bin, ist Thomas: Der hatte mich im letzten Jahr gefragt, ob ich nicht mit zum Nordkap kommen wolle? "Klar", hatte ich ironisch geantwortet. Als Familienvater und noch dazu mit einem reiseintensiven Job gesegnet, ist eine mindestens zweiwöchige Motorradtour bei der besseren Hälfte unmöglich zu verargumentieren.
Aber der Samen war gesetzt, und ich musste nur noch einen Weg finden, das zur Verfügung stehende Zeitbudget (ein langes Wochenende) mit einem nicht allzu alltäglichen Ziel in Einklang zu bringen. Das ich mit der SR fahren würde, stand fest.

Der Weg ist das Ziel, doch ohne Ziel kein Weg
Wenn man an die alte Motorradfahrer-Weisheit glaubt, dass der Weg das Ziel sei, dann müsste es eigentlich egal sein, wohin man fährt. Ich hätte meine vier familienfreien Tage auch nutzen können, um nacheinander von Würzburg aus in den Odenwald, den Spessart, die Rhön und die Hassberge zu tuckern. Aber darum ging es nicht. Irgendwie üben geografische Extreme - der höchste Pass, der längste Highway, oder eben das nördlichste Kap - einen ganz speziellen Reiz aus, dem zumindest ich mich nicht entziehen kann.
Und so legte ich Kap Arkona, die Nordspitze der Insel Rügen, als Ziel fest. Dort war ich (obwohl gebürtig in Mecklenburg oder, um ehrlich zu sein, im Bezirk Rostock) noch nie, und auch die meisten der am Wegesrand liegenden Regionen hatte ich noch nie aus dem Motorradsattel gesehen. Und mit rund 800 Kilometern Anreise (laut Google Maps) versprach sich eine zwar anspruchsvolle, aber keinesfalls überfordernde Streckenlänge. Dass die echte Welt ein wenig größer ist, als uns die Internet-Kartendienste vormachen wollen, sollte sich noch zeigen.


Eine genaue Streckenplanung inklusive Übertrag ins Navi hatte ich wie üblich weggelassen. Aber ganz ohne Vorbereitung bin ich auch nicht losgefahren. Der Plan sah folgendermaßen aus: Am ersten Tag nach Brandenburg/Havel, am zweiten nach Rügen, am dritten zum SR-Treffen Hamburg nach Brietlingen, und am vierten nach Hause. Navigieren wollte ich mit zwei, drei Zwischenzielen (um größere Städte zu vermeiden) per Tomtom. Die Übernachtung war im Zelt vorgesehen.

So sah die Runde ungefähr aus.

Und jetzt zur Wirklichkeit: Laut Routenplaner hatte ich gut 1.600 Kilometer zu erwarten - laut SR-Tacho wurden es aber knapp 1.900. Lag es an der "Nebenstrecken"-Einstellung im Navi? Schwer zu sagen. Aber es war auch nicht schlimm - möglichst viel Fahren war ja das Ziel der Reise. Gezeltet habe ich nur einmal, in der ersten Nacht - dann hatte ich die Schnauze voll: zu kalt, zu unbequem. Ich werde alt.

Kiefernwälder wie Kathedralen
Aber davon abgesehen ist die Reise genauso abgelaufen, wie ich sie mir erträumt hatte. Einfach nur fahren, Strecke machen vom frühen Morgen bis zum Abend, nur zum Tanken anhalten, einsame, unbekannte Landschaften durchmessen. Die SR schnurrte wie ein Kätzchen, endlose Felder zogen an uns vorbei - sattgelb vom Raps oder lindgrün vom jungen Weizen. Kleine Wäldchen zwangen die Straße in wenige Kurven, bevor es wieder in die endlosen Alleen ging. In den Dörfern duckten sich einstöckige Häuser unter die Backsteinkirchen mit ihren wuchtigen, viel zu dicken Türmen. Die wenigen Städte hübsch restauriert und menschenleer. Weiter im Norden dann lichte Kiefernwälder, deren nackte Stämme wie Säulen in einem unermesslich großen, lichtdurchfluteten Tempel wirkten. An der Küste der Geruch von Salzwasser und Seetang, den ich noch aus meiner Kindheit kannte.

Und das Ziel? War Kap Arkona die Anreise wert? Nun, die Anreise selbst war wundervoll, aber das Ziel ein magischer Ort, dessen Ausgesetztheit man sah und spürte.


Auf der Rückreise frappierte mich der deutliche Unterschied zwischen MV und Schleswig-Holstein. Nicht in der Landschaft, aber in der Besiedelung und Architektur und in der Anlage der Dörfer mit ihren beeindruckenden Bauernhöfen. Man merkt sofort: In Deutschland gibt es Grenzen, die sind sehr viel älter als die, welche von 1949 bis 1990 bestand. Vieles hat sich über Jahrhunderte unterschiedlich entwickelt, und diese Unterschiede sieht man heute noch.

Vier Tage Motorradfahren: Das kann reichen, um im eigenen Land völlig unbekannte Welten zu entdecken. Und wieder einmal zu merken, wie wenig es braucht, um auf dem Motorrad glücklich zu sein.