06.06.2017

Haufen Schotter

Im Jahr 2014 war's, da inspirierten mich die Reiseberichte einiger Bekannter aus der Motorradjournalisten- und -bloggerszene wie selten etwas zuvor: Unter dem Stichwort "Alpenschotter" hatten sich ein paar Freunde aufgemacht, um zwischen Genf und der Mittelmeerküste möglichst viele Kilometer auf unbefestigten Straßen zu fahren. Und davon gibt es offensichtlich noch viel mehr, als man denken könnte: alte militärische Versorgungswege, Pfade zwischen einsamen Weilern und Höfen und der eine oder andere Pass. Was die Kollegen an Bildern und Erlebnissen mitgebracht hatten, das machte einen tiefen Eindruck auf mich: Auch ohne die Fähigkeiten eines Endurocracks und selbst mit schweren Reiseenduros kommt man auf unbefestigten Wegen ziemlich weit - und kann dabei dem Trubel auf den bekannten Motorradstrecken aus dem Weg gehen. Das wollte ich auch.
Es dauerte dann noch zwei Jahre und reichte auch nicht ganz für die Seealpen, aber nun habe ich sie getan: meine erste Reise abseits des Asphalts (zumindest teilweise). Es war gleichzeitig auch meine erste fremdorganisierte Motorradreise, aber selbst hätte ich es unmöglich geschafft, mitten in Mitteleuropa solche (Ab-)Wege zu finden. Aber der Reihe nach.

Mit XT und SLR in die Vogesen
Zu Alexander Métayer, dem Patron der Firma Roadbooktouren.de, hatte ich, nachdem ich ihn aus beruflichen Gründen kennengelernt hatte, schnell Vertrauen gefasst. Ein cooler Typ - ich war mir sicher, der wird eine coole Reise organisieren. Im Angebot hatte er ein verlängertes Wochenende in den Vogesen, das sich ganz gut mit dem familiären Zeitplan in Einklang bringen ließ. Mein Reisegefährte stand von Anfang an fest: Schließlich lagen bei meinem Bruder seit Jahren die Fragmente einer Yamaha XT 600 im Keller, und er suchte nur nach einem motivierenden Anlass, diese endlich zu einem Motorrad zusammenzufügen. Ich selbst schaffte mir kurz und schmerzlos eine Honda SLR 650 an. Zwar ist die brave City-Enduro nicht das Idealbild einer drahtigen Bergziege, sie besticht aber mit der Gutmütigkeit eines Maultiers - eine Charaktereigenschaft, die einem Schotternovizen durchaus entgegenkommt.
Pünktlich zum Reisebeginn kurz vor Pfingsten war alles bereit: Brüderchen hatte nicht nur die Komplettrestaurierung der XT abgeschlossen, sondern auch noch einen Motorrad-Transportanhänger improvisiert, der uns die Anreise erleichtern sollte. Zugfahrzeug (Honda Jazz), der Anhänger aus den Überresten eines DDR-Produkts sowie die beiden Maschinen repräsentierten ungefähr den Wert einer halben BMW R 1200 GS - genau das richtige für uns.

Schnitzeljagd mit dem Roadbook
Am Freitag vor Pfingsten traf sich die Gruppe am kultigen Hotel Obersolberg nahe Munster in den Vogesen. Am Start stand eine bunte Mischung aus modernsten Fulldressern (KTM Adventure, BMW R 1200 GS, Yamaha Super Tenere), einigen Mittelgewichten (BMW F 800 GS) sowie leichter Profiware (KTM, Suzuki DR). Und wir. Die Navigation sollte, dem Namen des Anbieters entsprechend, über ein Roadbook erfolgen, was wider Erwarten wenig Schwierigkeiten verursachte. Natürlich empfahl es sich, morgens bei Abfahrt den Kilometerzähler auf Null zu stellen - jedenfalls wenn man nicht über einen rallymäßigen Tripcounter verfügt. Und schon ging es los: "Bei Kilometer 22,35 rechts abbiegen, nach dem Brunnen links - dann offroad." So oder ähnlich lauteten die Anweisungen auf dem meterlangen Papierstreifen. Und schon nach wenigen Kilometern Straße waren wir mitten im Wald, allein mit uns, zwei ältlichen Japanerinnen und jeder Menge Schotter, loser Erde, Wurzeln und bröckeligen Asphaltresten. Schnell merkte ich: Mit ruhiger Hand geführt, lassen sich solche Wege auch mit einer SLR meistern. Solange ein Weg erkennbar ist, also ein einigermaßen ebener Untergrund ohne extreme Steigungen und Gefälle, dann kommt man auch durch. Kilometer um Kilometer führten uns die Pfade tiefer in verwunschene Wälder, auf einsame Höhen oder zu abgelegenen Gehöften, durch die die Straße oft mitten hindurchführte. Nie hätte ich gedacht, dass man in diesem so gut erschlossenen Mittelgebirge noch solche Strecken fahren kann. Wo diese genau liegen, bleibt das Geheimnis von Ali Métayer, der die Roadbooks nach den Etappen wieder einsammelte - sein gutes Recht, denn diese Geländekenntnis ist sein Kapital.
An drei Fahrtagen kamen so rund 500 Kilometer zusammen, und davon vielleicht 100 abseits des Asphalts  - klingt wenig, aber es war ebenso anstrengend wie erfüllend. Und weil auch die Straßenetappen einen Riesenspaß machten, bleibt die Erinnerung an eine perfekte Motorradreise. Auch wenn die Honda nicht mehr ganz so aussieht wie zu Beginn.
An alle Leser, die das nicht bereits wissen: Ja, ihr könnt Schotterwege fahren - ob mit einer riesigen Reiseenduro oder einer alten SLR. Es macht Spaß. Und Roadbooktouren.de ist wirklich ein kompetenter Anbieter. Jetzt muss ich nur noch herausfinden, ob es in unseren Mittelgebirgen hier auch noch solche Strecken gibt.

Die Bilder:

Anreise: Bequem mit dem Luxusgespann.

Basisstation: Hotel Obersolberg mit Premium-Blick.

Und dann gin es in den Wald.

Das Roadbook stimmte fast immer auf 100 Meter genau.

Asphalt gab es auch, aber das war keine Last.

Eher schon die Wanderwege mit den umgekippten Bäumen.

Für die Mittagspausen hatte Ali ganz besondere Plätze ausgewählt.

In den Weinbergen lassen sich auch Schotterpassagen finden.

"Straßenschäden": Die Untertreibung des Jahres.
Aber das Ziel rechtfertigte den Kampf mit dem Schotter.