04.03.2016

Der amerikanische Weg

In Deutschland macht man sich ja gerne lustig über US-amerikanische Fahrzeugtechnik. Schnell fallen dann Vokabeln wie "archaisch", "rustikal" oder "simpel" - meistens nicht böse gemeint, doch durchaus abwertend in der Bedeutung. Ich sehe das schon seit langem anders und freue mich wahnsinnig darauf, diese Meinung endlich anhand meines ersten eigenen amerikanischen Fahrzeugs einem Realitätstest unterziehen zu können. Nächste Woche wird die Buell angemeldet, bekommt neue Betriebsstoffe - und dann ist es vor dem Garagentor hoffentlich auch schön genug für die erste Ausfahrt.
Doch noch ist Zeit für ein paar grundsätzliche Gedanken zum amerikanischen Motor allgemein und zum Harley-Zweizylinder, der in der Buell steckt. Warum ist er so anders als das, was man aus Europa oder Japan gewohnt ist?
Die Motorenentwicklung wurde ja von vielen Faktoren beeinflusst, und nicht alle waren technischer Natur. Auch gesetzliche Regelungen und vor allem die Art, wie die Kfz-Steuer berechnet wurde, übten ihren Einfluss aus. In Europa stand schon sehr zeitig der Hubraum im Fokus der Steuerbehörden, weswegen die Konstrukteure hierzulande notgedrungen begannen, aus kleinen Motoren möglichst viel Leistung herauszuholen. Über die Jahrzehnte verfestigte sich diese Konstruktionsweise dann und wurde zur Philosophie, die niemand mehr in Frage stellte - selbst wenn die Kfz-Steuer heute gemessen an den anderen Kosten des Fahrzeugs kaum noch eine Rolle spielt.
Um aus kleinen Motoren ausreichend Leistung zu generieren, sind hohe Drehzahlen nötig, die wiederum komplexe Ventiltriebe erfordern, gleichzeitig aber Verbrauch und Verschleiß erhöhen.

Leistung und Drehmoment auf natürliche Weise
In Amerika hingegen blieben die Konstrukteure dem reichlich bemessenen Zylinderinhalt treu. Vielleicht gab es keine hubraumbezogene Steuer? Jedenfalls standen dadurch Leistung und Drehmoment sozusagen auf natürliche Weise zur Verfügung, was komplizierte Verfahren zur Erzielung und Beherrschung hoher Drehzahlen überflüssig machte. Zwei Ventile und unten liegende Nockenwellen reichten den meisten amerikanischen Auto- und Motorradmotoren bis vor wenigen Jahren aus.
Aus Sicht des Ingenieurs ist das durchaus nicht verwerflich. Wenn zwei Lösungen zum gleichen Ziel führen, dann ist die einfachere immer zu bevorzugen. Vor Jahren hat mir ein Daimler-Entwickler mal gesagt, allein der Kurbeltrieb des damals aktuellen Mercedes-V8 mit all seinen Stellorganen sei teurer als der ganze Chrysler-V8. Wenn man aber die Leistungs- und (echten) Verbrauchsdaten vergleicht, dann stellt man fest, dass diese überkandidelte Technik keinen großen Vorsprung gewährleistet.

Kaum ein Nachteil zum europäischen Vierventiler
Doch zurück zur Buell. Der Harley-V2 ist trotz seiner "einfachen" Technik zu erstaunlichen Leistungen fähig. Der Zweiventiler schafft bei nur 6.600 U/min 75 kW/102 PS aus gut 1.200 Kubikzentimetern Hubraum. Da ist kaum ein Nachteil zu aufwendigen Vierventilmotoren wie dem BMW-Boxer oder dem Guzzi-V2 zu erkennen. Es gibt sogar einen Vorteil: Die niedrigen Drehzahlen und der OHV-Ventiltrieb machen Hydrostößel möglich - Auf Wiedersehen, Ventilspielkontrolle.

Leider verdecken die mächtigen Rahmenprofile der XB-Reihe den V2 fast vollständig und lassen wenig mehr als die Zylinderfüße sehen. Denn er ist ein wirklich schöner Motor, der nichts vorspiegelt, das nicht da ist. Technisch sinnlose Hubzapfenversätze, um ihm mehr Charakter einzuimpfen, hat er nicht nötig. Er ist ein echter V-Motor mit beiden Pleueln auf einem Hubzapfen. Als einziger V2 besitzt er sogar Gabelpleuel, damit die beiden Zylinderfüße auch tatsächlich genau hintereinander stehen. Er ist auch ein echter Langhuber, was zu einem unwiderstehlichen Drehmomenteinsatz verhilft. Und auch wenn die Vibrationen wirklich fies sind (das weiß ich noch von einer 2000er Sportster mit starr verschraubtem Motor), so hat der geniale Erik Buell es mit seiner Uniplanar-Aufhängung geschafft, diese vom Fahrer fernzuhalten.

Den Fahrer von der Buell fernhalten, ist hingegen unmöglich. Nächste Woche beginnt die Reise.