Wenig überraschend arbeitete sich mein Gehirn alsbald am aktuell schwierigen Verhältnis zwischen dem motorradfahrenden und dem nicht motorradfahrenden Teil der Gesellschaft ab. Ihr habt selbst sicher in den letzten Wochen viel über das Thema und die damit zusammenhängenden neuen Gesetze oder Initiativen im In- und Ausland gelesen, deshalb erspare ich mir und euch die Wiederholung der einzelnen Punkte. (Wer Bedarf nach einer sehr guten Zusammenfassung des Problems hat, kann hier nachlesen.) Viel wichtiger als die Frage, ob es legal ist, dass alle Fahrer in Sippenhaft genommen werden für das Fehlverhalten einiger (ich denke, nicht) ist für mich die Frage, was das alles über unsere Gesellschaft aussagt. Denn das rituelle Eindreschen auf die pöhsen Rocker ist nur einer von vielen Ausflüssen eines allgemeinen gesellschaftlichen Phänomens: Immer mehr Menschen sind nicht mehr bereit, irgendwelche Einschränkungen ihrer Bequemlichkeit und ihres Wohlbefindens hinzunehmen. Und es gelingt ihnen immer besser, Gleichgesinnte zu aktivieren, den gemeinsamen Unmut zu kanalisieren und lokale Entscheidungsträger sowie in deren Gefolge auch Volksvertreter für ihre Zwecke einzuspannen. Proteste, Klagen und Bürerinitiativen gibt es in Deutschland ja gegen praktisch alles: neue Verkehrs- oder Industriebauten, Windkraftanlagen, die Bauern bei der Ernte, die Kühe auf der Weide, ja selbst gegen Kindergärten und Nationalparks.
Motorradfahrer sind ein einfaches Ziel
Jetzt sind gerade einmal wir Motorradfahrer dran. Und wir geben ein sehr leichtes Ziel ab. Motorradfahren ist aus Sicht Andersdenkender überflüssig und rein spaßbetont, dazu gefährlich, laut und umweltverschmutzend. Es gibt zwar viele andere Verkehrsmittel und Sportarten, auf die einige dieser Attribute auch zutreffen, aber eben nie alle zusammen.
- Lkw sind lauter und viel gefährlicher für andere Verkehrsteilnehmer, aber sie fahren überwiegend auf Hauptverkehrsstraßen
- Es gibt Sportwagen, die viel lauter sind als Motorräder, aber die sind selten und ihre Fahrer posen lieber in den Innenstädten, als durch die einsame Botanik zu fahren.
- Manche Extremsportarten sind ebenso so sinnlos und gefährlich wie Motorradfahren, aber sie finden meist abseits der Öffentlichkeit statt.
Wir brauchen neue Motorräder
Wird sich das irgendwann wieder ändern - und wird das Motorradfahren dann wieder so unbeschwert möglich sein wie in der "guten alten Zeit"? Ich glaube nicht. Aber wir können etwas tun. Wir dürfen nicht mehr nur dann sichtbar sein, wenn es draußen schön ist, und nicht nur dort, wo es schön ist. Denn dann wollen auch alle Nicht-Biker genau dort sein - und ihre Ruhe haben.
Die Industrie hat ihre Bikes jahrzehntelang als reine Freizeitfahrzeuge vermarktet. Das war vor 60 Jahren vielleicht richtig, um den Siegeszug des Autos zu überleben; heute ist es aber die falsche Strategie. Denn Motorräder haben in unserer Gesellschaft nur dann eine Zukunft, wenn ihr Kraftstoffverbrauch und ihre Schadstoff- und Lärmemissionen nicht auschließlich dem Vergnügen dienen. Sie müssen selbstverständlicher, unverzichtbarer Teil des Verkehrs sein - immer, überall.
Wir brauchen auch andere Maschinen als heute. Riesige Reiseenduros im Transformerlook oder laut kreischende Powernakeds bestimmen heute das Bild. Wenn ein Dutzend GS Adventure mit Sportauspuff durch ein stilles Bergdorf brettert, dann macht das eben einen ganz anderen Eindruck, als wenn es Honda NCs sind. Wir müssen nicht warten, bis es Elektromotorräder für alle gibt. Sozialverträgliche und alltagstaugliche Bikes sind schon heute im Angebot - man muss sie nur kaufen.
Ich war heute mit der Enfield unterwegs. Ich könnte es mir leicht machen und sagen: Das ist das Motorrad der Zukunft. 20 kW - davor muss niemand Angst haben. 84 dB (A) - da wackeln nicht die Tassen im Schrank, und trotzdem klingt sie schön. 3 Liter/100 Kilometer - davon schmelzen nicht gleich die Gletscher. Natürlich muss deswegen nicht jeder Enfield fahren. Aber mal denken beim Fahren - das kann schon helfen.