Es war kein so guter Start wie vor knapp drei Wochen beim Test der Ninette: Als ich gestern bei HMF Motorrad die Triumph Bonneville T120 für eine längere Probefahrt übernahm, dachte ich nach den ersten paar Sekunden: "DAS Ding willst Du kaufen??" Die 20 Kilo mehr als bei der BMW spürte man schon im Stand sehr deutlich, der Motor fühlte sich verglichen mit meiner Erinnerung erschreckend blutleer an, und beim Losfahren kippelte die Fuhre am Vorderrad so furcherregend, dass ich dachte, ich schaffe es nicht vom Händlerhof herunter.
Echt jetzt? Eigentlich stand die Bonnie auf meiner Haben-will-Liste vor der BMW! Doch einige der negativen Überraschungen klärten sich vergleichsweise schnell auf. Erstens war der Rain-Modus aktiviert, und obwohl es tatsächlich regnete (auch nicht sehr praktisch für eine Probefahrt), braucht den kein Mensch. Wie sich zeigte, ist die Gasannahme auch in der Einstellung Road sehr sanft und gleichmäßig. Zweitens: Die Kippeligkeit resultierte mit großer Wahrscheinlichkeit aus dem ziemlich abgefahrenen Vorderreifen. Da Motorräder derzeit knapp und die 2021er Bonneville auch noch gar nicht ausgeliefert sind, musste ich nämlich den 2020er Vorführer fahren, und der hatte schon fast 7.000 Kilometer auf dem Tacho.
Der Motor massiert die Seele
Doch als die Anfangsschwierigkeiten überwunden waren, spürte ich wieder, warum die T120 möglicherweise mein nächstes Motorrad wird. An erster Stelle ist da dieser Seelenschmeichler von Motor zu nennen. Üppiges Drehmoment, schöner pulsierender Lauf, gut passende Getriebeübersetzung, niedriger Verbrauch - hier stimmt einfach alles. Klar fehlen 30 PS zum gleich großen BMW-Motor, aber mir fehlen die nicht.
Die Sitzposition ist deutlich aufrechter und klassischer als bei der vergleichsweise sportlichen BMW. Auch wirkt die Engländerin zierlicher - für mich eigentlich zu klein, aber das hatten wir ja schon. Mit einer aufgepolsterten Sitzbank sollte es gehen.
Das Fahrwerk mit konventioneller Gabel und Stereofederbeinen kann mit dem der Ninette natürlich nicht mithalten. Wo die moderne BMW superstabil um die Kurven pfeilt, ist die Bonnie immer in Bewegung. Natürlich ist sie auch hecklastiger, man sitzt ja viel aufrechter. Aber das Fahrverhalten passt zur Optik und eigentlich auch zu mir - ich mag es mittlerweile ja gemütlich. Vielleicht sollte ich erwähnen, dass ich bei beiden Touren mit meinem Sohn als Sozius unterwegs war. Die Ninette steckte die zusätzliche Last deutlich besser weg (hat aber eine kürzere und weniger bequeme Sitzbank).
Nur: Warum so laut?
Etwas zwiespältig ist der Sound zu bewerten. Einerseits klingt die Bonneville wunderbar: Ein perfekt komponiertes, bassiges Grollen und Blubbern, das den Fahrer wie eine warme Decke einhüllt. Andererseits ist sie, vor allem nach heutigen Maßstäben, etwas zu laut. Triumph ist ehrlich und gibt für das 2021er Modell 95 dB(A) Standgeräusch an. Das 2020er hat noch 94. Beide dürfen damit gerade so nach Tirol, aber ich hätte mir von Triumph etwas mehr Empathie gewünscht. Ein neues Motorrad lauter zu machen als das Vorgängernodell, das muss nicht sein. Ich bin sicher, das Bonnie-Fahrgefühl wäre genauso gut mit 90 oder 92 dB (A). Ob die BMW-Methode, das Standgeräusch per Auspuffklappe auf 87 herunterzutunen, moralisch besser zu bewerten ist, überlasse ich dem geneigten Leser. Aber da am Ende der Papierwert zählt, ist der Ehrliche der Dumme.
Fazit: Die BMW R Nine-T ist zweifellos das bessere Motorrad als die Triumph Bonneville T120. Aber die Bonnie mag ich trotzdem mehr. Und dann muss ich bei der Entscheidungsfindung noch folgenden Umstand beachten: Ich bin beide Maschinen nicht in der Ausführung gefahren, in der ich sie letztlich kaufen würde. Die Ninette Pure hat nämlich ein deutlich einfacheres fahrwerk, das in vielen Tests auch als unharmonisch kritisiert wurde. Und die 2021er Bonneville besitzt deutlich leichtere Räder (Alu- statt Stahlfelgen) und weniger Schwungmasse im Motor, sollte sich also spritziger und handlicher anfühlen als das alte Modell. Damit dürfte der Abstand zwischen beiden Maschinen spürbar schrumpfen.
Trotzdem: Die Entscheidung ist noch nicht gefallen. Ein paar Mal muss ich noch drüber schlafen.