Viele Biker fahren jedes Jahr in die Alpen. Warum auch nicht? Aber uns – meinen beiden Brüdern und mir – wäre das zu langweilig, und so suchen wir für unsere alljährliche Brüdertour immer wieder neue Ziele aus. Allerdings sind die Möglichkeiten begrenzt, wenn man nur maximal fünf Tage zur Verfügung hat und auch die Chance fehlt, die Motorräder per Anhänger an einen weit entfernten Startpunkt zu transportieren.
Und so landete der Finger auf der Landkarte fast automatisch in Tschechien. Denn das Land in der Mitte Europas ist leicht zu erreichen und bietet den für uns wesentlichen Vorzug, dass wir noch nie wirklich dort waren (von gelegentlichen Durchquerungen abgesehen). Aber ist Tschechien überhaupt ein lohnenswertes Ziel für eine Motorradtour? Nochmal der Blick auf die Landkarte: Wenn man immer schön am Rand bleibt, dann könnte das richtig toll werden. Das Land ist nämlich aufgebaut wie eine Schüssel: An den Grenzen wölbt sich ein Gebirge neben dem anderen, während die Mitte eher flach und damit langweilig ist. Und schon stand der Plan: Einmal rund um Tschechien, bitte!
Vom Treffpunkt Chemnitz aus, der Residenz unseres jüngsten Mitstreiters, starteten wir an einem Samstag Ende Juli Richtung Südosten. Ziel war Trutnov, des frühere Trautenau. Warum? Nun, Trutnov ist die Partnerstadt meines Wohnortes Würzburg. Ein vollkommen ausreichender Grund, dort mal vorbeizuschauen. Mehr als den Zielort des jeweiligen Tages legen wir ohnehin selten im Voraus fest. Aufwendige Routenplanung am PC ist uns fremd. Ein Blick auf die Karte, ein oder zwei Zwischenziele festgelegt – und das Navi erledigt den Rest.
Zuerst führte der Weg noch ein Stück durch Sachsen, durch das hügelige Erzgebirgsvorland in Richtung Sächsische Schweiz. Im kleinen Ort Göppersdorf stießen wir auf ein Oldtimertreffen und legten den ersten längeren Stopp ein. Vor Ort war ein ganzer Pulk top restaurierter Jawa-Motorräder aus der damaligen CSSR zu sehen – ein gutes Omen! Bei Schmilka an der Elbe überquerten wir dann die Grenze ins Nachbarland.
Das Landschaftsbild änderte sich zunächst kaum. Das Elbsandsteingebirge mit seinen markanten Felsformationen geht auch in Tschechien weiter. Erinnert sich noch jemand an die schrecklichen Waldbrände, die letztes Jahr dort tobten? Ich hatte sie schon längst vergessen, doch viele Hektar schwarz verkohlter Baumstämme, die uns auf den ersten Kilometern begleiteten, erinnerten mich auf eindrucksvolle Weise an das Geschehen. Die Route führte durch anfangs von Touristen fast überlaufene, später immer einsamere Gegenden Richtung Osten. Einsam heißt allerdings nicht „unbesiedelt“. Die Dörfer zogen sich oft kilometerlang dahin, allerdings boten sie mit ihren bunt gestrichenen und gut erhaltenen Fachwerkhäusern, viele mit „Umgebinden“, jede Menge fürs Auge.
Nach rund 330 Kilometern erreichten wir Trutnov. Das über eine weit verbreitete Buchungsseite reservierte Zimmer lag oberhalb einer Pizzeria direkt am Eingangs-Kreisverkehr der Kleinstadt. Wir hatten schon ruhigere Etablissements, aber egal. Das gute heimische Bier sorgte für die nötige Bettschwere.
Der Hotspot für die einheimischen Biker
Am nächsten Morgen richteten wir die Vorderräder erneut gen Osten aus. Der tschechische „Schüsselrand“ sollte an diesem Tag seine größte Höhe erreichen, denn wir passierten das über 1.600 Meter hohe Riesengebirge. Kurz nach Trutnov wechselten wir aber erst einmal auf die polnische Seite und durchquerten einen grünleuchtenden Traum von Mittelgebirgslandschaft, garniert mit einem wunderschönen Kurort voller Sanatorien und Villen aus der Kaiserzeit.
Zurück in Tschechien kletterte der Höhenmesser im Navi zügig weiter. Bei Kouty nad Desnou gibt es nicht nur ein Skigebiet, sondern auch tolle Passstraßen mit fantastischer Asphaltqualität, die am Cervenohorska Sedlo bis hinauf auf über 1.000 Meter Seehöhe führten und der absolute Hotspot für die einheimischen Motorradfahrer sind. Hier konnte meine kleine 390er KTM Adventure einmal jedes einzelne ihrer 44 PS ausspielen – was für ein Spaß!
Am späten Nachmittag erreichten wir mit Ostrava, unser Etappenziel. Wie immer versuchen wir auf unserer Brüdertour, nicht in einsamen Pensionen oder Gasthöfen auf dem Land zu übernachten, sondern möglichst in Städten, die ein bisschen mehr Vielfalt in Sachen Gastronomie bieten. Was gibt es schöneres, als abends nach einem langen Motorradtag noch durch eine Stadt zu flanieren, ein paar kalte Getränke einzunehmen und die lokalen Schönheiten (des Städtebaus natürlich) zu betrachten!
In Sachen Architektur hatte Ostrava, mit 285.000 Einwohnern immerhin die drittgrößte Stadt der Tschechischen Republik, tatsächlich einiges zu bieten. Viele Gebäude sind perfekt restauriert, aber man sieht auch noch das eine oder andere ruinöse Baudenkmal – beispielsweise diese schwarze, bröckelnde Zwingburg direkt gegenüber unseres Hotels, an der Wednesday Addams sicher ihre helle, oder besser dunkle Freude gehabt hätte.
Die fast menschenleere Großstadt
Komischerweise war diese große und interessante Stadt an diesem sonnig-warmen Sonntagabend im Juli fast menschenleer. Waren die Tschechen alle im Sommerurlaub? Die Restaurants waren zwar ganz gut besucht, aber keinesfalls überfüllt, und auf den Straßen und Plätzen sahen wir nur wenige Menschen. Und als uns die hübsche Kellnerin unseres Restaurants kurz vor neun Uhr mitteilte, dass man nun schließen würde, da waren wir erst recht überrascht. Hm, der Tourismus spielt in Ostrava wohl nicht die Hauptrolle.
Also weiter, immer weiter nach Osten. Am neuen Tag stand die nächste Grenze auf dem Programm, die zur Slowakei. Im letzten Jahrtausend war ich schonmal in dem Land, dass mir damals wie ein aufs Riesenhafte aufgezoomter Schwarzwald erschien (minus Gewerbegebiete und Lkw-Kolonnen, versteht sich). Also eigentlich ein Traum für Motorradfahrer. Leider fehlte uns die Zeit, tiefer in dieses wundersame Waldland einzutauchen – und das Tal, das sich parallel zur tschechischen Grenze entlang zog, sah leider nicht nach Schwarzwald aus. Hatte aber jede Menge Gewerbegebiete und Lkw-Kolonnen zu bieten. Beeindruckend allerdings der Blick auf den Stausee von Nosice mit der ihn kreuzenden Bahntrasse.
Kaum zurück in Tschechien (bei Horni Lidec) wurde die Landschaft gleich wieder viel lieblicher: dünn besiedeltes Hügelland, perfekt zum Motorradwandern. In der hübschen Kleinstadt Uhersky Brod verbrachten wir eine sehr lange Mittagspause. Das Städtchen liegt auf einem Hügel, und zwischen schön restaurierten Gebäuden, die den Marktplatz umstanden, konnte man weit hinaus in die Ebene blicken. Wir hatten es uns unter einem Sonnenschirm bequem gemacht, aßen Eis und sahen den Einwohnern und Einwohnerinnen bei ihren Verrichtungen zu. Oh wunderbarer Müßiggang! Doch gleich darauf wurden wir dafür gestraft, denn der weitere Weg ins Etappenziel Mikulov hatte dank einer langen Umleitung und dem einen oder anderen Gewitterguss nicht mehr viel Fahrfreude zu bieten.
Das Schloss auf dem Hügel
Dafür entpuppte sich Mikulov (deutsch: Nikolsburg) als der mit Abstand schönste unserer Übernachtungsorte. Was nicht für das Hotel selbst galt. Denn statt in den gebuchten Bungalow verfrachtete man uns in ein krümelkleines Zimmer, das mit 3.000 Kronen pro Nacht (rund 140 Euro) auf den Quadratmeter bezogen nicht viel billiger war als die Hochzeitssuite im Adlon. Aber gut, in die kleine Stadt an der österreichischen Grenze kommen am Tag wahrscheinlich mehr Touristen als nach Ostrava in einem ganzen Jahr. Und warum? Das Stadtbild ist einfach der Wahnsinn: Mikulov liegt auf einem Hügel, der von einer perfekt erhaltenen Burg gekrönt wird. Unterhalb dieser schlängeln sich Gassen rund um mittelalterliche Häuser und Höfe. Direkt neben der Stadt liegt ein weiterer Hügel mit einer Wallfahrtskapelle. Und das Ganze ist umgeben von Weinbergen, denn in Südmähren konzentriert sich praktisch der gesamte tschechische Weinbau. Ein wunderschöner Abend.
Den südlichsten Punkt unserer Rundreise hatten wir mit Mikulov erreicht, am nächsten Tag richteten wir die Aprilia, die KTM und die Yamaha wieder Richtung Nordwesten aus. Land Nummer fünf auf der Reise war Österreich, von dem wir einen Zipfel des Waldviertels zwischen Znojmo und Gmünd durchquerten. Dort hätten wir eigentlich gern zu Mittag gegessen, aber die Dörfer in der Region präsentierten sich vollkommen menschenleer und bar jeder Versorgungsmöglichkeit: kein Bäcker, lein Imbiss, kein Gasthof – noch nicht einmal ein Dorfladen. Erst in Gmünd, direkt an der Grenze, gab es wieder menschliches Leben. Also schnell wieder zurück ins Böhmische. Mit Cesky Krumlov wartete noch ein weiteres Touri-Highlight auf uns – eine Art Rothenburg ob der Tauber, gelegen auf einem Hügel in einer Schleife der Moldau. Allerdings vollkommen überlaufen, und wir hatten ohnehin noch einen langen Weg vor uns – so blieb es bei einem kurzen Fotostopp.
Direkt nach Cesky Krumlov tauchten wir ein in die Ausläufer des letzten Gebirges auf unserer Reiseroute: des Böhmerwalds. Angesichts des umbarmherzig darniederströmenden Regens hieß die Devise allerdings einfach nur: Durchhalten und ankommen. Fast schon freuten wir uns, dass die Straßen im Böhmerwald wenig kurvenreich sind. Unser Hotel war dann schon wieder auf der deutschen Seite des Gebirges, dem Bayerischen Wald. Zwiesel liegt nur wenige Kilometer von der Grenze entfernt und erinnerte uns doch sehr stark an manche Kleinstadt im Osten: die hübsch restaurierten Gebäude im Stadtzentrum konnten kaum über den erheblichen Leerstand im Einzelhandel hinwegtäuschen, und abends um acht waren die Bürgersteige fest hochgeklappt und verriegelt. Immerhin fanden wir in unserem Hotel, was uns in Tschechien ein wenig gefehlt hatte: Gute Küche in großen Mengen zu akzeptablen Preisen. Die eigentlich so bekannte und leckere Böhmische Küche hatte für uns überwiegend recht kleine Portionen in nicht besonders liebevoller Machart zu bieten gehabt.
Tja, und das war es dann auch schon wieder mit der Brüdertour 2023. Unser Ziel – die Umrundung Tschechiens – hatten wir locker geschafft, mit Tagesetappen von 300 bis 380 Kilometern. Mit An- und Abreise kamen bei mir knapp über 2.000 Kilometer zusammen. An vielen Stellen, vor allem an der Grenze zu Polen sowie zu Bayern, präsentierte sich unser Nachbarland als perfektes Revier zum Motorradwandern. In den flacheren Gegenden im Süden, an der Grenze zur Slowakei und zu Österreich, machte das Fahren etwas weniger Spaß – aber solche Passagen gehören zu einer Motorradtour auch dazu. In den Alpen gibt es schließlich auch nicht nur Pässe, sondern manch langweilige Verbindungsetappe durch dicht besiedelte Täler. Uns hat es jedenfalls gefallen, und an einer Stelle hat Tschechien zudem einen Pluspunkt, den kaum ein anderes Land in Mitteleuropa zu bieten hat: Das Bier ist überall günstig und lecker!
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Relikte der sozialistischen Vergangenheit finden sich in Tschechien nicht mehr sehr viele, aber ein paar eben doch.
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Die Kleinstadt Uhersky Brod bezauberte uns mit ihrer schönen Lage und leckerem Eis.
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Ostrava hat architektonisch viel zu bieten, aber leider waren kaum Menschen da, die dies zu genießen gewusst hätten.
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Der kleine Abstecher nach Polen hat sich gelohnt, dank der tollen Landschaft des Riesengebirges.
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Sanfte Hügel und hübsche Dörfer prägen die Landschaft entlang der tschechischen Grenzen.
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