26.11.2008

Es ist vorbei. Etwas Neues beginnt

Korsika, Ostsee, Franken kreuz und quer. Die neu aufgebaute Skorpion Tour. Ein wunderbares Skorpiontreffen direkt vor meiner Haustür. Grob geschätzt 9.000 Kilometer Jahresfahrleistung. Das (vermutliche) Ende von MZ. Keine Stürze, nur ein Beinahe-Unfall: Schlaglichter einer Motorradsaison, die nun mit ein paar kurzen Servicefahrten (volltanken, Reifen aufpumpen usw.) zu Ende gegangen ist. Es war meine 20. Motorradsaison. Und die Zeichen verdichten sich - ach was, sie sind schon nicht mehr zu übersehen - dass es auf absehbare Zeit meine letzte war. Denn ich werde Vater.
Ab dem nächsten Jahr werde ich andere Sachen zu tun haben als Motorrad fahren. Windel- statt Ölwechsel. Babygeschrei statt Sportauspuff. Kinderwagen statt Café Racer. Ja gut, vielleicht schaffe ich vor DEM GROßEN TAG noch ein paar kleine Fluchten. Doch das wird nur Realitätsverweigerung sein. Ich muss der Wahrheit ins Auge sehen: Ein Leben ist vorbei. Zwei neue beginnen.
Zeit, zurückzublicken auf diese fast 20 Jahre. Ich bin 34, da ist das eine verdammt lange Zeit. Was ist geschehen in diesen Jahren, was hat mir das Motorrad fahren gegeben? Was habe ich erlebt, was ich ohne Motorrad nicht erlebt hätte? Wie schreibt man eine Biographie?
Keine Ahnung. Vielleicht bete ich einfach alles chronologisch herunter. Vielleicht benenne ich die Kapitel nach den für die kennzeichnenden Maschinen. Vielleicht fange ich einfach an im Jahr 1989, dem Jahr der

Simson
Mein erstes Moped. Mit 15 durften Jugendliche in der DDR Maschinen bis 50 Kubik und 60 km/h fahren. Als Junge fuhr ich natürlich die (motorradähnliche) S50, die Schwalbe war etwas für Mädchen und sowas von uncool (das änderte sich später, wie so vieles).
Ich erinnere mich noch gut an die Fahrschule bei der GST (eine Organisation, die Jugendliche auf den Dienst in der Armee vorbereiten sollte). Weil die GST damals knapp an Fahrschulmopeds war, musste jeder mit seiner eigenen Maschine fahren. Bei mir dauerte es etwas, bis ich eine aufgetrieben hatte. Ich war damit einer der letzten meines Kurses, der Fahrlehrer entsprechend genervt, und so wurde die erste motorisierte Fahrt meines Lebens (im echten Straßenverkehr) gleich die Prüfungsfahrt. Das ging natürlich nicht gut, ich fiel durch und durfte eine Woche später wieder antreten. Da lief es schon besser, nach fünf Minuten war die Prozedur überstanden und ich ein amtlich anerkannter motorisierter Verkehrsteilnehmer. Die gesamte praktische Seite meiner Fahrausbildung umfasste also zehn Minuten, die Gebühren lagen bei fünf Mark der DDR, und innerhalb eines Jahres durfte man nach einer weiteren derartigen Prüfung auf ein richtiges Motorrad umsteigen.
Wer in West- oder Gesamtdeutschland seine Fahrausbildung absolviert hat, darf an dieser Stelle gern zum Weinen in den Keller gehen. Ich warte dann so lange.

Alles wieder gut?
Nun, ein Jahr später stieg ich um auf eine MZ TS 150. Aus meinem Freundeskreis war ich damit der einzige, die anderen warteten lieber auf das Auto. Schon damals also waren gar nicht mehr so viele Jugendliche scharf darauf, Motorrad zu fahren - und das, obwohl die heute gern als Erklärung für den Nachwuchsmangel in der Motorradszene dienenden Ablenkungen wie Handy oder Computerspiel noch keine Rolle spielten.
Auch mit Motorrad beschränkte sich mein Aktionsradius auf den heimischen Landkreis, eine Fahrt auf die Augustusburg (rund 60 Kilometer) war schon eine Weltreise. Keine Touren, keine Urlaubsreisen? Nein, ich kannte niemanden, der dazu Lust hatte. Und irgendwie bin ich auch selbst nicht darauf gekommen, dass so etwas geht.
Das Motorrad war einfach da, es gehörte dazu, ein Utensil wie das Taschenmesser in der Hose, das man ja ehrlich gesagt auch nie brauchte. Wir fuhren die paar Kilometer zum Treffpunkt, hingen da 'rum, und wenn wir Glück hatten, setzte sich ein Mädchen hinten auf den Bock. Dann fuhren wir wieder ein paar Kilometer und zogen besonders eifrig an der Vorderradbremse, weil sich dann die (von keinerlei Motorrad-Schutzkleidung bedeckten) Brüste so ungemein angenehm in den Rücken drückten. Tja, die dynamische Radlastverlagerung hat wirklich ihre angenehmen Seiten.
Außerdem fuhr ich in die Berufsschule und die Fabrik, doch das immer seltener, als das Auto kam. Hier hätte meine Motorradkarriere schon zu Ende sein können.

ETZ 250
Während der Bundeswehr spielte das Motorrad gar keine Rolle mehr für mich, und ich weiß heute nicht mehr, warum ich danach doch wieder fahren wollte. Es sollte aber ein richtiges Motorrad sein, nicht mehr die popelige 150er. Geld hatte ich allerdings keins, und so entschied ich mich für eine MZ ETZ 250. Nicht lachen! Was sich jetzt wie ein höchstens gradueller Unterschied zwischen Not und Elend anhört, war für mich eine andere Welt!
Und doch machte nicht der Motorradwechsel den Unterschied, sondern das Studium. Denn dort lernte ich zum ersten Mal richtige Motorradfahrer kennen. Leute, die lange Strecken fuhren, die richtige Schutzkleidung besaßen.
In diesen Zeiten gewann das Motorrad immer mehr Bedeutung für mich. Die Freizeitgestaltung, die Gespräche, die Urlaubsplanung - alles drehte sich ums Zweirad. Und das wurde noch schlimmer, als ich mir im Jahr '98 endlich meine ersehnte Traummaschine leisten konnte: Die

MZ Skorpion
Schon 1993 oder 1994, als die ersten Bilder der damaligen Studie in die Zeitschriften kamen, dachte: Die muss ich haben. Und als einige Jahre später durch glückliche Umstände einige tausend Mark auf mein studentisches Konto flossen, investierte ich sie umgehend in eine gebrauchte, ziemlich heruntergekommene Skorpion Tour.
Wahnsinn. Ein richtiges Motorrad! Wie wunderschön sie war mit diesem einzigartigen Rahmen und dieser schlanken Linie. Und dann der bollernde Klang des Einzylinders! Ich war vom ersten Tag an begeistert von dieser Maschine und bin es heute, nach über zehn Jahren, immer noch.
Jetzt begann mein echtes Motorradleben. War ich bislang nur im Landkreis umhergeschwirrt wie eine Fliege in der Besenkammer, so fuhr ich jetzt mit meinen Freunden richtig weit weg. Der erste große Motorradurlaub meines Lebens führte nach Polen (ursprünglich wollten wir nach Frankreich, aber das war zu weit und zu teuer), einmal quer durch und dann wieder zurück. Mann, wie hatte ich am Anfang die Hosen voll, und wie schön war es dann.
Und weiter: Die Alpen. Die legendäre Krim-Reise. Alkoholselige Motorradtreffen. Die Standardtour von Zwickau auf den Fichtelberg. Goldene Zeiten.

Der Fuhrpark
Je näher das Ende des Studiums rückte, desto mehr wuchs meine Angst, dass diese schöne Motorradzeit unwiederbringlich enden würde. Müssten nicht meine Motorradfreunde in alle Welt auseinanderlaufen? Hätte ich als arbeitender Mensch überhaupt noch Zeit zum Fahren?
Nun, die erste Befürchtung trat ein - auch, weil ich selbst sehr weit weg zog. Doch Zeit zum Fahren hatte ich nach wie vor, sogar mehr als zuvor! Vielleicht deshalb, weil ich weniger andere Ablenkung hatte, sicher auch, weil die jeweilige Partnerin immer mitzog.
(Ja! An mir liegt es nämlich nicht, dass dem Motorradmarkt der Nachwuchs ausgeht. Immerhin haben zwei Frauen auf meine Anregung oder mein Vorbild hin, oder warum auch immer, den Schein gemacht. Wollte ich hier nur einmal anmerken...)
In den letzten vier Jahren habe ich praktisch an jedem geeigneten Wochenende auf dem Bock gesessen, jeder Urlaub fand selbstverständlich auf zwei Rädern statt und ich dachte mehr darüber nach, ob auch ein fünftes Motorrad in die Garage passen würde, als was es auf meiner Hochzeit zu essen geben sollte...

All das ist bald vorbei. Wie stark wird mir das Motorradfahren, -basteln, -putzen, -quatschen und -denken fehlen? Wahrscheinlich lässt mir das Baby eh' keine Zeit, darüber nachzudenken. Ob das gut oder schlecht ist, weiß ich noch nicht. Vielleicht bilden sich Phantomschmerzen, vielleicht denke ich aber auch nur ab und zu, mit einem wehmütigen Lächeln, an die vielen guten Tage und die vielen Freunde, die mir das Motorradfahren beschert hat.
Wenn ich nur daran denke, wird es mir an nichts fehlen.
Aber trotzdem werde ich manchmal Sonntags morgens in die Garage schleichen, die (rote oder schwarze) Skorpion aufwecken (ich werde sie nie verkaufen, oh nein) und für zwei Stunden abhauen.

P. S. Was bin ich froh, dass ich in diesem langen Sermon nicht einmal die unsägliche Vokabel "Freiheit" gebraucht habe...