25.05.2018

Himalaya(n) für Anfänger

Ein Tempolimit von 80 km/h, Null Toleranz und hohe Strafen - die Schweiz hat sich als Motorradreiseland selbst aus dem Rennen genommen. Ich kann das gut verstehen: Wer will schon Horden von Verrückten mit kreischenden und stinkenden Höllenmaschinen im Land haben? Doch weil das geopolitische Neutrum gleichzeitig mit beeindruckendem Alpenpanorama, perfekt gepflegten Straßen und spektakulärer Verkehrsführung lockt, wollte man dort doch ganz gern mal wieder hin (das letzte Mal war ich vor 2004 auf zwei Rädern in der Schweiz).
Gesucht war ein Weg, mit dem Motorrad Spaß zu haben und trotzdem den Führerschein und den Kontostand bewahren zu können. Die Lösung lag auf der Hand: Ich fahre mit der Enfield!
Mit ihren 27 PS und dem niedertourigen Langhubmotor fühlt sich sich (und der Pilot mit ihr) genau bei dem Tempo am wohlsten, das die eidgenössischen Verkehrsplaner als für Leib, Leben und Wohlbefinden gerade noch akzeptabel erachtet haben. Kriminelle Überschreitungen sind nicht zu befürchten, und mit ihrer sedierenden Ausstrahlung sorgt die Inderin dafür, dass der Fahrer auch in Ortsdurchfahrten kein Problem mit dem 50er Limit hat.
Der Zufall war diesmal sehr gut zu mir. Es passt ja selten alles zusammen, aber in der Woche nach Pfingsten schon:
  • Das Kind hatte Ferien, und die Großeltern waren zur Betreuung bereit.
  • Die Frau musste zu einer Schulung.
  • Mein jüngster Bruder als bewährter Reisegenosse hatte Zeit und Lust, mitzukommen.
  • Mit der Enduro Himalayan stand das neueste Enfield-Modell als Testfahrzeug zum Vergleich bereit.
Was hätte ich mir mehr wünschen können? 

Die Reise war auf drei Tage angesetzt: Am Dienstag Anreise bis nach Friedrichshafen am Bodensee, der zeitweiligen Heimat des Ras-mussen-Schreibers. Mittwochs dann eine schöne große Runde durch die Ostschweiz mit erneuter Übernachtung in FN, Donnerstag wieder nach Hause.
An dieser Stelle müsste nun der lineare Reisebericht folgen ("Und dann gelangten wir nach ..."), aber ihr wisst, dass ich so etwas nicht schreiben kann und will. Dauert viel zu lange. Deswegen hier nur grobe Stichpunkte:
  • Am Anreisetag konnten wir erst mittags los und ich steuerte deshalb auf der B19 über Schwäbisch Hall bis kurz vor Ahlen und von dort aus per Tomtom direkt nach Süden. Auf den Abschnitten mit viel Auto- und Lkw-Verkehr mussten wir mit einer neuen Erfahrung klarkommen: drängelnden Pkw und sogar Lkw! Aber wir blieben eisern: Reisetempo 90 für meine noch nicht komplett eingefahrene Bullet. Landschaftliches Highlight war das Westallgäu mit seiner Postkartenidylle, wo ich zahllose Ortsnamen und Wegabschnitte wiedererkannte. In meiner Bodenseezeit (2001 bis 2004) fuhr ich dort viele Kilometer mit Maschinen wie MZ Skorpion und 500R, Moto Guzzi V50 und, jawohl, Honda VFR! Wie lange das her ist...
  • Aber zurück in die Gegenwart: Am Mittwoch überquerten wir den Bodensee mit der Fähre und starteten unsere Alpentour in Romanshorn. Die Schwägalp war mit 1.278 Metern der erste kleine Höhepunkt, bevor wir uns durch das dichtbesiedelte Rheintal quälen mussten. Ab Klosters wurden wir für die lange Anreise belohnt: Bei bestem Bikewetter bollerten wir nacheinander den Flüela (2.383 m), den Maloja (1.815 m) und den Julier (2.284 m) hoch und wieder herunter. Am Splügen scheiterten wir wegen einer Sperrung. Während Flüela- und Julierpass vor allem mit ihrer kargen, noch winterlichen Landschaft beeindruckten, bot der Malojapass wegen seiner treppenartig übereinandergestapelten Serpentinen den meisten Fahrspaß. Leider endete der Spaß am Ortseingang von Chur - ab hier war wieder Kolonnenfahrt angesagt. Insgesamt kamen 580 Kilometer zusammen, für die wir inklusive spärlicher Pausen zwölf Stunden unterwegs waren. Ein großartiger Tag.
  • Am Donnerstag hatten wir den ganzen Tag Zeit für die Rückreise nach Würzburg. Wir hielten uns etwas westlicher, um nicht die gleichen Strecken fahren zu müssen, und überließen diesmal dem Tomtom komplett die Planung. Die richtige Entscheidung: Die Route war viel besser und am Ende sogar 40 Kilometer kürzer! Die Routenführung des steinalten Urban Rider (2011 gekauft) ist immer noch perfekt, und der Akku hält bis zu sechs Stunden. Ich kann mir nach wie vor kein besseres Motorradnavi vorstellen.
  • Und wie schlugen sich die Maschinen? Natürlich kapitulierten sie nicht vor den mickrigen Alpen, wo sie doch in ihrer Heimat die über 5.000 Meter hohen Pässe im Himalaya erklimmen. Auch mit 25 bis 27 PS kann mal freudvoll Motorradfahren. Das einzige, was nicht geht, ist, eben mal schnell bergauf ein paar Autos oder Lkw zu überholen. Das muss man sehr genau planen. Aber man kommt immer rauf und natürlich auch runter, die Fahrwerke taten ihren Dienst, die Schräglagenfreiheit reichte auch bei der Bullet aus (bei der Himalayan sowieso), nur die Bremsen sind zu schwach und brauchen viel Kraft. Der Unterschied zwischen den beiden Motoren ist deutlich spürbar: Während die Bullet mit ihrem OHV-Langhuber wirklich wie ein Oldtimer rumpelt und knattert, fühlt sich die Enduro mit ihrem OHC-Motor wie ein ganz normales Motorrad an. Der neue Einzylinder hat etwas weniger Hubraum (411 statt 500 Kubik) und wirkt auch schmächtiger. Weil er aber höher dreht, sind die Fahrleistungen ähnlich wie bei der Bullet, und am Berg ist er sogar manchmal im Vorteil. Frappierend der niedrige Verbrauch: zwischen 2,5 Litern in den Schweizer Bergen und gut drei Litern auf deutschen Landstraßen, wobei die Himalayan immer ein, zwei Zehntel sparsamer war als die Bullet. Echt gut. Eine unschöne Sache muss ich aber doch berichten: Während die Enduro pannen- und schadenfrei blieb, leckt an meiner nagelneuen Bullet Öl aus der Kopfdichtung. Ärgerlich. 
Insgesamt kamen in drei Tagen je nach Zählung 1.350 (Bullet) oder 1.250 (Himalayan)  zusammen. So richtig einig sind sich die beiden also nicht, aber der Unterschied liegt ja deutlich unter zehn Prozent - geschenkt. Es war eine Frühlingsreise, wie sie nicht hätte besser laufen können. Danke an alle Beteiligten!

Und hier noch die Bilder: Erstmals hatte ich eine sogenannte Action-Cam am Lenker befestigt, um während der Fahrt fotografieren zu können. Die Qualität ist mäßig, was bei 30 Euro Anschaffungspreis nicht verwundert. Videos gibt es auch, aber ich muss erst schauen, ob ich die komprimieren kann.