12.08.2021

Kleine Maschinen auf großer Tour

Es gibt da eine gewisse MZ, die ist schon ziemlich viel herumgekommen. Aber in den Alpen war sie noch nicht. Und da das auch für ihren Besitzer galt, stand das Ziel der diesjährigen Brüdertour schon ziemlich zeitig fest. Im Laufe der Verhandlungen kristallisierte sich der Gardasee als Fluchtpunkt heraus - war das nicht das erste Sehnsuchtsziel für viele (West)-Deutsche nach dem Krieg, als sie mit ihren untermotorisierten Zwei- und Viertaktern über die Alpen krochen, um nach dem anstrengenden Alltag in der Kohlegrube endlich einmal die Sonne zu sehen? 

So ähnlich fühlten wir uns auch, als wir die Fahrt planten - na OK, vielleicht ohne die Kohlegrube. Aber da Michael unbedingt mit der MZ fahren wollte, stand für mich fest, dass es die Enfield sein musste, die ja immerhin schon alpenerfahren ist. Und Tobias hatte sich, schon nachdem auch nur zarte Andeutungen auf eine eventuelle Fernreise mit MZ und Enfield gefallen waren, direkt eine Honda XBR 500 gekauft (natürlich auf 27 PS gedrosselt, damit er uns nicht heillos davonfährt).

Einmal 19 und zweimal 27 PS gegen die 2.509 Meter des Timmelsjoches - ob das gut geht? Auch die Strecke zum Gardasee sollte man nicht unterschätzen, vor allem im Getümmel des italienischen Ferragosto-Urlauberverkehrs. Aber wir wollten es ja nicht anders, und so starteten wir am vergangenen Freitag frohgemut ins Abenteuer Alpen.

 Klein, aber zeimlich laut

Ich war kaum am Treffpunkt Wolfegg angekommen, da hörte ich schon eine sehr markante Soundmischung: das unverkennbare tiefe Bollern der XBR, mit hellem Zweitaktgesang im Abgang. So richtig leise sind die beiden Kleinen wirklich nicht, dachte ich bei mir - werden wir im lärmallergischen Tirol mit seiner 95-dB(A)-Regelung wohl mit Steinen beworfen? Achtung Spoiler: Niemand hat sich dafür interessiert.

Nach der ersten Übernachtung in der Nähe von Immenstadt ging es über das Oberjoch hinüber nach Österreich, mit dem Hahntennjoch als erstem fahrerischen und topografischen Höhepunkt. Und ganz schnell merkten wir, dass nicht die 19 PS der limitierende Faktor für unsere Reisegeschwindigkeit waren, sondern der unglaublich dichte Verkehr. Klar: ein Samstag im August - was haben wir erwartet. Aber die kleinen Maschinen sorgten schnell dafür, dass wir uns mit der Situation zufriedengaben und gemütlich in der Kolonne mitrollten.

Natürlich schafften es alle drei Einzylinder locker über das Hahntennjoch, und so freuten wir uns umso mehr auf das Timmelsjoch und den Wechsel nach Italien. Schon von unten sahen wir, dass die Passhöhe in Wolken lag. Je weiter die kleinen Maschinen nach oben stampften, umso grauer, dunkler und kälter wurde es. Zusammen mit der kargen Hochgebirgslandschaft ergab das ein spektakuläres Bild - jedenfalls, so lange wir etwas sehen konnten. Denn bei zehn Metern Sichtweite war es mit der Gemütlichkeit vorbei. Immerhin regnete oder schneite es nicht (wie ein paar Tage zuvor am Stilfser Joch). 

 Den Gardasee muss man auch erst einmal finden

Auch diesen Zweieinhalbtausender marschierte die MZ unbeirrt nach oben, während sich ihre dünne blaue Abgasfahne mit dem Nebel mischte - ein tolles Erlebnis. Nicht ganz so toll war hingegen das, was wir am Fuße des Passes auf italienischer Seite sehen mussten: ein schwerer Motorradunfall. Und kaum waren die Rettungswagen abgefahren, da bretterten die ersten Unbelehrbaren los: munter mit Vollgas in den Gegenverkehr zum Überholen - als hätte nicht gerade einer von uns Motorradfahrern mit dem Tode gerungen. Unglaubliche Idioten.

Auch wir erlebten noch das eine oder andere Abenteuer. Irgendwie schafften wir es TROTZ Navi und Karte, in Meran den richtigen Abzweig zum Gampenpass nicht zu finden. Nach endloser Sucherei gelangten wir dann auf eine Route, die auf meiner groben Karte nicht einmal eingezeichnet war, aber endlich einmal autofrei und wunderbar zu fahren. So schafften wir es bis Molveno, etwa 40 Kilometer vor unserem Ziel Riva del Garda, und konnten die ersehnte abendliche Pizza fast schon riechen, als uns ein Polizist den Weg versperrte. "Nach Riva gesperrt, Loch in Straße" - nee, echt jetzt? Im Hochgebirge ist das mit Umleitungen ja so eine Sache. Zurück nach Mezzolombardo und dann über Trento zum See ergaben locker 60 Extra-Kilometer, die den Zähler auf gut 450 Kilometer Tagestrecke hochschraubten. Kein Spaziergang, aber zum Fahren waren wir ja da.

 In jeder Kurve alles geben

Doch der nächste Tag sollte diese Strecke noch toppen. Vom See weg klappte alles wie am Schnürchen: Praktisch ohne Pause rollten wir durch das Ledrotal und dann über Tione und Madonna di Campiglio wieder in Richtung Meran - diesmal wirklich über den Gampenpass, der eine faszinierende Aussicht bot und dazu noch die ersehnte freie Fahrt für unsere drei Leistungsmonster. Es macht tatsächlich einen Heidenspaß, mit solch sparsam motorisierten Kisten unterwegs zu sein und nach jeder Kurve alles geben zu müssen - ohne jemals wirklich zu schnell zu sein. Sogar das Überholen klappte manchmal, wenn auch mit geschlossenen Augen und dem einen oder anderen Stoßgebet. 

Von Meran zum Reschenpass quälten wir uns dann wieder im Kolonnenverkehr. Auf Wiederrsehen, Italien! Und Österreich zeigte uns gleich, warum menschliches Leben nördlich des Alpenhauptkamms eigentlich unmöglich ist: Mit jedem Meter den Arlberg hinauf wurde es wieder kälter und nasser. Oben auf der Passhöhe steckten wir in einer dicken Wolkensuppe, die uns noch bis in den Bregenzer Wald begleitete. Doch das Ziel Ravensburg erreichten wir trocken, und zwar nach 515 Kilometern Fahrtstrecke und genau zehn Stunden. Kein schlechter Schnitt mit einmal 19 und zweimal 27 PS in den Alpen, finde ich.

Am letzten Tag der Reise bummelten wir noch zusammen durch Oberschwaben und über die Schwäbische Alb, bis sich westlich von Ulm unsere Wege trennten. Auf der letzten Etappe der Tour führte mich mein antiker Tomtom wieder einmal zielsicher auf einsamen und kurvenreichen Straßen durch wunderschöne Landschaften, und ich konnte die diesjährige Brüdertour perfekt ausklingen lassen. Es war die bislang beste.

Nicht unerwähnt lassen will ich, dass die Enfield trotz erheblichem Vollgasanteil auf den gut 1.650 Kilometern im Durchschnitt nur knapp 2,9 Liter auf 100 Kilometern verbraucht hat. Billiger kann man nicht Motorrad fahren. 

Aber trotzdem: Bei der Brüdertour 2022 dürfen es dann doch wieder ein paar PS mehr sein.

Drei schwarze Einzylinder im Allgäu.

Der erste richtige Pass: das Hahntennjoch.

Am Timmelsjoch war es kalt und trüb, aber trotzdem schön.

Die Wolken begleiteten uns durch Italien, aber es blieb trocken.

Geschafft! Die erste MZ am Gardasee (na ja, möglicherweise).

Etwas kleiner, aber ebenfalls schön: der Lago di Ledro.

Auch Deutschland hat schöne Ecken zu bieten - hier irgendwo auf der Schwäbischen Alb.